Mit Absinth den Alltag vergrünen?

Nach fast achtzigjährigem Verbot ist der Verkauf von Absinth in Deutschland wieder zulässig. Seither steigt der Konsum der "grünen Fee" sprunghaft an. Bar- und Partygänger feiern den hochprozentigen Wermutlikör als berauschendes Mode- und Szenegetränk, Ärzte und Psychologen warnen hingegen vor seinem Gefahrenpotential. Ob der gesteigerte Konsum tatsächlich ernstzunehmende Gefahren birgt und wie damit umgegangen werden sollte, dazu gibt Prof. Dr. Walter Zieglgänsberger vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München Auskunft.

(Interview von U. Gönczi, L. Marschall, A. Samberger, S. Scharnert)

 

 

Die Bezeichnung Absinth kommt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie unerfreulich bzw. untrinkbar. Was für ein Produkt verbirgt sich eigentlich hinter diesem Namen?
Bei Absinth handelt es sich um einen hochprozentigen Wermutlikör mit zahlreichen Inhaltsstoffen. Eine Komponente ist Wermutöl, das so bitter und unangenehm schmeckt, dass man es in unverdünnter Form nicht genießen kann. Ein anderer Bestandteil ist Thujon, das für die halluzinogene und toxikologische Wirkung verantwortlich ist. Thujon wirkt in höherer Konzentration schädlich auf Magen, Leber und auf unser Nervensystem. Deswegen wurde Absinth 1923 in Deutschland verboten.

Absinth wird derzeit als neue Lifestyle-Droge angeboten. Welche Gefahren könnten sich hieraus für die Konsumenten ergeben?
Thujon wirkt in bestimmten Dosen halluzinogen und kann eine euphorische Stimmung erzeugen. Stimmungsaufhellende Substanzen sind besonders für ängstliche Menschen gefährlich. In ihrem Fall ist die Gefahr besonders groß, dass sie darauf zurückgreifen, um sich sicher zu fühlen. Diese psychotrope Wirkung erzeugt in Kombination mit Alkohol, der ja auch im Absinth enthalten ist, die Sucht.

Walther Zieglgänsberger

Professor Dr. med. Walther Zieglgänsberger, Leiter der Arbeitsgruppe Klinische Neuropharmakologie am Max Planck Institut für Psychiatrie München, Grundlagenforschung im Bereich Schmerz und Sucht. Zieglgänsberger wurde 1990 mit dem Deutschen Förderpreis für Schmerzforschung und Schmerztherapie und 1999 mit dem Deutschen Schmerzpreis ausgezeichnet.

 

Sind bereits konkrete Vergiftungsfälle bekannt?
Nein, es liegen noch keine konkreten Fälle vor, von denen man eindeutig sagen könnte, das ist nicht der Alkohol, der hier toxisch wirkt, sondern das Thujon.

Gibt es ein Gegengift?

Ein spezifisches Gegenmittel fehlt. Bei Vergiftungen muss daher auf die herkömmlichen Maßnahmen der Intensivmedizin zurückgegriffen werden. Dazu zählen das Einleiten einer Diurese, also der Forcierung der Harnausscheidung, damit das Thujon möglichst schnell über den Urin aus dem Körper ausgeschieden wird oder die Gabe von antiepileptisch wirksamen Substanzen gegen Krampfanfälle.

Das Schlaf- und Beruhigungsmittel Contergan wurde vor genau 40 Jahren aus dem Handel genommen, da sich der Zusammenhang zwischen seiner Einnahme und dem gehäuften Auftreten von Gliedmaßenfehlbildungen bei Neugeborenen nicht länger leugnen ließ. Auch hier gab es lange vor der Vermarktung Hinweise auf die neurotoxische Wirkung seines Inhaltstoffes. Wie beurteilen Sie die Legalisierung thujonhaltiger Pflanzen angesichts dieses Falles?
Sowohl Thalidomid, das ist der Wirkstoff von Contergan, als auch Thujon können in bestimmten Dosen neurotoxisch und damit schädigend auf unser Nervensystem wirken. Beim Thalidomid kommt aber noch eine teratogene Wirkung hinzu. Dies bedeutet, dass die Substanz auf die Gene unseres Erbguts einwirkt. Wird es von einer schwangeren Frau eingenommen, kann dies dazu führen, dass beim Fötus schwere Missbildungen auftreten.

Gibt es Untersuchungen über das teratogene Potenzial von Thujon?
Meines Wissens nicht. Vor 100 Jahren, als Absinth in großen Mengen getrunken wurde, gab es diese Überlegung noch nicht. Heute haben wir zwar jede Menge an Informationen zum Thujon. Geben Sie doch einfach mal den Begriff ins Internet ein - Sie werden mit allgemeinen Auskünften dazu regelrecht überschwemmt. Rar sind dagegen gesicherte wissenschaftliche Daten. Hier besteht noch ein riesiges Forschungsdefizit.

 

Teil II: Prof. Zieglgänsberger über die Popularität der "grünen Fee" >>>